Besoldungsklage des dbb Hessen erfolgreich
Verwaltungsgerichtshof bestätigt: Besoldung des Landes Hessen ist verfassungswidrig
Es war tatsächlich eine denkwürdige Verhandlung, die am Dienstag, 30. November, vor dem Verwaltungsgerichtshof in Kassel stattgefunden hat. Nicht nur das Urteil – dessen schriftliche Begründung bislang noch nicht vorliegt – als vielmehr die mündliche Begründung des Senats in der Verhandlung, waren außergewöhnlich klar und eindeutig – was den Kläger, aber vor allem den Landesvorsitzenden Heini Schmitt und den Verfassungsrechtler Prof. (em.) Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis freute.
Ehe er die Berechnungen zum Mindestabstandsgebot austeilte, betonte der vorsitzende Richter Dr. Dirk Schönstädt (zugleich Präsident des Hess. VGH) noch einmal eindeutig die überragende Bedeutung, die dieser Parameter für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit hat. „Wenn dagegen verstoßen wird, ist der Verstoß verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen“, so der vorsitzende Richter. Also: Ist das Mindestabstandsgebot nicht gewahrt, ist dies das KO-Kriterium, das nicht gerechtfertigt werden kann. Oder noch deutlicher: Der Mindestabstand muss IMMER gewahrt werden. Das BVerfG hatte in den vergangenen Jahren seine Rechtsprechung immer weiter in Richtung dieser Auffassung verdeutlicht – offenbar von den Dienstherren nicht wahrgenommen oder ignoriert.
Das Ergebnis der eigenen Berechnungen habe man „mit Verwunderung gesehen“, so der vorsitzende Richter beim Austeilen der selbigen. Demnach war z.B. im Jahr 2020 nicht nur der Mindestabstand zur Grundsicherung von 15 Prozent nicht eingehalten worden. Die Besoldung hatte den Wert der Grundsicherung selbst sogar um mehr als 9 Prozent unterschritten, ergaben die Berechnungen. De facto befand sich die A5-Besoldung, auf der die Berechnung fußte, sogar noch deutlich unter dem Sozialhilfeniveau. Es fehlten also nicht nur 15 Prozent Mindestabstand, sondern insgesamt mehr als 24 Prozent im Gehaltssäckel.
Laut den Berechnungen des Gerichts hat das Land Hessen mindestens seit 2013 gegen das Mindestabstandsgebot verstoßen. Ein Mangel, der sich zudem nicht alleine auf die unteren Besoldungsgruppen beschränkt, sondern sich hinaufzieht bis in die Ämter A 10 des gehobenen Dienstes.
Allerdings: Wenn die Besoldung schon so weit in verfassungsrechtliche Schieflage geraten ist, dann ist es nicht mehr ausreichend, nur die direkt betroffenen Besoldungsgruppen anzuheben. Und so stellte das Gericht auch in weiteren, am selben Tag verhandelten Klagen Verfassungswidrigkeit im Professoren-Besoldungsamt W 2 fest.
Verwaltungsgerichtshof bestätigt: Besoldung des Landes Hessen ist verfassungswidrig
„Wir freuen uns sehr über die heutige Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs“, sagt der Landesvorsitzende des dbb Hessen, Heini Schmitt, nach der mündlichen Verhandlung einer Berufungsklage in Kassel. Das Gericht hatte einer Klage gegen die Besoldung des Landes Hessen, die der dbb Hessen angestrengt hatte, praktisch auf ganzer Linie Recht gegeben und die Verfassungswidrigkeit der Besoldung des Landes Hessen eindeutig festgestellt.
„Es ist gut, dass nun endlich Klarheit geschaffen wurde“, sagt Heini Schmitt. „Nun ist es die Aufgabe der Landesregierung, dieses Urteil in eine Besoldungsstruktur umzumünzen, die dem Begriff verfassungskonform entspricht.“ Und zwar mit deutlichen Nachbesserungen, bevor das BVerfG abschließend formal die Verfassungswidrigkeit bestätigt.
Geklagt hatte mit Unterstützung des dbb Hessen ein Beamter einer niedrigen Besoldungsgruppe A6. Die Rechtsauffassung, die der dbb Hessen vom BVerfG 2015 übernommen hat: Bei der Besoldung muss ein 15- prozentiger Abstand eines in Vollzeit arbeitenden Beamten mit seiner Familie zum Einkommen einer vergleichbaren Familie sein, die von der Grundsicherung leben muss. Laut Berechnungen des dbb Hessen, die auch vom Gericht anerkannt wurden, ist dies bislang nicht der Fall. „Das muss nun dringend korrigiert werden“, sagt Schmitt in einer ersten Reaktion auf das Urteil.
Für die Klage brauchte der dbb Hessen einen langen Atem. Schon Anfang 2017 hatte er drei Klagen angestrengt, wurde allerdings in einer zunächst im März 2018 vom Verwaltungsgericht in Frankfurt abgewiesen. Die beiden weiteren, ähnlich gelagerten Fälle, wurden von den Gerichten bis zur jetzigen Entscheidung ruhend gestellt. Bereits 2015 hatte das Bundesverfassungsgericht grundlegende Entscheidungen getroffen, die die Rechtsauffassung des dbb Hessen belegten. 2020 wurden die entscheidenden Parameter vom BVerfG weiter ausgeschärft.
Dem Land Hessen reicht der dbb Hessen nun für den weiteren Verlauf die Hand. „Anknüpfend an ein sehr konstruktives Gespräch mit Innenminister Beuth vom April sind wir gerne bereit, gemeinsam mit der Landesregierung nun an einer für alle Seiten vernünftigen, aber vor allem rechtssicheren Besoldungstabelle mitzuarbeiten“, sagt Heini Schmitt.
Das BVerfG hatte im Mai 2020 nochmals konkretere Vorgaben gemacht,
- nach welcher Methode der Mindestabstand zur Grundsicherung zu berechnen ist
- dass der (deutliche) Verstoß gegen das Mindestabstandsgebots i. R. d. Prüfung des systeminternen Besoldungsvergleichs bei der ersten Prüfungsstufe allein schon die Verfassungswidrigkeit begründet und nicht gerechtfertigt werden kann
- dass es bei einem deutlichen Verstoß gegen das Mindestabstandsgebot keinesfalls ausreicht, nur bei den unmittelbar betroffenen Besoldungsgruppen nachzubessern.
So hat das BVerfG im Mai 2020 für die Grundbesoldung in Berlin sinngemäß festgestellt, dass schon aufgrund der Tatsache, dass das Mindestabstandsgebot zur Grundsicherung in der untersten Besoldungsgruppe eklatant verletzt ist, folgt, dass auch die Besoldung eines Richters nicht mehr den Vorgaben der Verfassung entspricht.
Und nun hat der VGH Hessen exakt mit der vom BVerfG vorgegebenen Methode sinngemäß festgestellt, dass das Mindestabstandsgebot zur Grundsicherung eklatant verletzt ist und daraus auch folgt, dass die Besoldung eines W-2-Professors verfassungswidrig ist.
Mit dieser Rechtsprechung wird übrigens nicht das angemessene Niveau der Besoldung vorgegeben. Vielmehr wird damit nur die absolute Untergrenze der verfassungsmäßen Besoldung festgelegt.
An der enormen „Reparaturbedürftigkeit“ der Hessischen Besoldungsgesetze besteht somit nicht mehr der geringste Zweifel.
Es ist und bleibt Aufgabe des Besoldungsgesetzgebers, ein verfassungsgemäßes Gesetz vorzulegen.
Und es steht jedem Gesetzgeber gut an, sich nicht lediglich an der von der Verfassung und der Rechtsprechung vorgegebenen absoluten Untergrenze zu bewegen, sondern durchaus einen erkennbaren Abstand dazu einzuhalten.
Auch deshalb darf mit ersten entscheidenden Gesetzgebungsschritten nach Vorliegen der schriftlichen Entscheidungsgründe des Hess. VGH nicht mehr zugewartet werden.
Schon die Sonderopfer, die hessischen Beamtinnen und Beamten als Auswirkung der Festlegungen im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen zur 19. Legislaturperiode zugemutet wurden, haben dem Landeshaushalt im Zeitraum von 2015 bis heute rd. 1,95 Mrd. Euro gespart.
Bei aller seitherigen Empörung auf Seiten des dbb Hessen gilt es, auch Aspekte der Fairness hervorzuheben. So ist durchaus positiv hervorzuheben, dass der hessische Innenminister Peter Beuth
- die vom dbb Hessen initiierten und unterstützten Klageverfahren als „Musterverfahren“ anerkannt hat
- einverstanden war, die eingelegten Widersprüche ruhend zu stellen und nur die Widersprüche unserer
- drei Kläger zu bescheiden (damit eine Klagewelle zu vermeiden)
- alsbald den Verzicht auf die Einrede der zeitnahen Geltendmachung von Ansprüchen erklärt hat und an dieser Erklärung bis heute festhält.
Ebenso ist anzuerkennen, dass Minister Beuth bereit war, unserer Bitte zu entsprechen, die Gestaltung der insgesamt verfassungstreuen Besoldung in Hessen aus der diesjährigen Einkommensrunde herauszuhalten und später gesondert zu regeln.
Darauf wird auch in der Begründung zum Gesetzentwurf zur Übertragung des Tarifergebnisses auf Besoldung und Versorgung gesondert hingewiesen.
Jetzt aber ist die Zeit zum Handeln gekommen.
Nachdem die Hessische Landesregierung mit Innenminister Beuth mit dem neuen, zukunftsweisenden Tarifvertrag vom 15. Oktober 2021 ein deutliches Signal der Wertschätzung an die Landestarifbeschäftigten gesendet hat (der TV-H ist erheblich besser als der Tarifvertrag in der TdL), gilt es nun, endlich mit der Beamtenschaft in Hessen wieder Frieden zu schließen.