04. September 2019

dbb Bürgerbefragung 2019

Über 60 Prozent der Bürgerinnen und Bürger halten Staat für überfordert

„Wir haben besorgniserregende Anzeichen für einen generellen Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit des Staates in Deutschland“, bilanziert der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am 20. August 2019 in Berlin die Ergebnisse der dbb Bürgerbefragung. Nach der von forsa für den dbb durchgeführten aktuellen Umfrage halten 61 Prozent der Befragten den Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben für überfordert.

Am häufigsten werden hierbei die Themen Schule/Bildung, Migration, innere Sicherheit, Umweltschutz, soziale Sicherung und Gesundheitsversorgung genannt. Silberbach: „Alles Themen, die mit dem Zusammenhalt der Gesellschaft und dem gestörten Gerechtigkeitsempfinden der Leute zu tun haben. In den vergangenen Jahren hat unsere Umfrage immer wieder ergeben, dass die Menschen sich vom Staat wirksamen Schutz vor den negativen Auswirkungen von Globalisierung, Digitalisierung und Entgrenzung erhoffen. Die 2019 wachsende Unzufriedenheit mit dem Staat, der Politik, dem öffentlichen Dienst, etablierten Strukturen und Verfahren ist leider logische Konsequenz einer jahrzehntelangen Spar- und Rückzugspolitik, die wir dringend stoppen müssen.“

Um Vertrauen zurückzugewinnen und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu verbessern, muss die „Performance“ des Staates schnell und nachhaltig verbessert werden, so Silberbach: „Wir fordern seit Jahren eine angemessene Personalausstattung, bessere Bezahlung und deutliche Schritte hin zu Digitalisierung, Bürokratieabbau und Serviceorientierung. Das würde nicht nur die Bürger- sondern auch die Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen.“

Denn beim persönlichen Umgang mit dem öffentlichen Dienst machen weiterhin über zwei Drittel der Befragten positive Erfahrungen, vor allem auf der Kreis- und Gemeindeebene. „Je persönlicher und je näher dabei der Bezug, desto positiver das Urteil“, so der dbb Chef: „Aus unserer Sicht sprechen gerade auch diese positiveren persönlichen Erfahrungsberichte dafür, dass es sich bei den negativeren Performancebeurteilung 2019 für den Staat um den Ausdruck eines generellen politisch-gesellschaftlichen Unbehagens handelt.“

Die einzelnen Berufsgruppen im öffentlichen Dienst genießen zudem auch 2019 hohe Wertschätzung bei den Bürgerinnen und Bürgern. Silberbach: „Die Top 10 im forsa-Beruferanking werden geradezu vom öffentlichen Dienst dominiert. 

Bei der Feuerwehr, in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, 

bei Polizei und Schule arbeiten die beliebtesten Leute, und das ist ein Trend, der seit 2007 stabil ist.“

Quelle: Pressemitteilung des dbb v. 20.08.2019

Anm. des dbb Hessen:

Die Forsa-Umfrage im Auftrag des dbb bestätigt auf eindrucksvolle Weise auch die langjährige Sichtweise und Argumentation des dbb Hessen, wonach die Bürgerinnen und Bürger sich zunehmend nach einem starken, handlungsfähigen Staat sehnen.

Der Landesvorsitzende des dbb Hessen, Heini Schmitt, hatte bspw. beim parlamentarischen Abend des dbb Hessen im August 2017 die Auffassung vertreten, dass „das wirkliche Leben der Verwaltung bereits ein gutes Stück enteilt“sei.

Die enorm gestiegenen Anforderungen bspw. durch die zunehmende Globalisierung und Digitalisierung, aber auch durch eine zunehmend vielschichtigere, fragilere und verrohende Gesellschaft wurden von den politischen Entscheidungsträgern in den Strukturen und in der Personalausstattung der Verwaltung nicht ausreichend abgebildet.

Auf der großen politischen Bühne werden weitreichende Entscheidungen getroffen, und die Verwaltung soll es dann „halt irgendwie hinbekommen…“.

 

Dabei ist es erfreulich und bemerkenswert zugleich, dass die Bürgerinnen und Bürger den Beschäftigten in der Verwaltung erneut ein hervorragendes Zeugnis ausstellen!

 

Die Forsa-Studie zeigt aber auch einen weiteren Aspekt ganz ungeschönt auf:

Die Bürgerinnen und Bürger wollen es nicht länger hinnehmen, dass man ihnen mit schönen Pressemeldungen und Werbebeiträgen eine „heile Welt“ vorgaukelt, während sie in ihrem Alltag genau das Gegenteil zu spüren bekommen.

Man denke nur an unsere Infrastruktur, an die Sicherheit im öffentlichen Raum oder an das Auseinanderdriften der Gesellschaft.

Die politischen Entscheidungsträger müssen endlich begreifen, dass es mit der Verabschiedung von Gesetzen nicht getan ist. Neue Gesetze müssen in der 

Praxis auch angewendet werden und deren Einhaltung muss auch konsequent kontrolliert werden. 

Zur wirklich sachgerechten Erledigung der staatlichen Aufgaben sind dringend enorme Investitionen erforderlich! Die in manchen Bereichen vorgenommenen Verbesserungen im Bund und auch in Hessen gehen in die richtige Richtung, müssen aber konsequent ausgeweitet werden.

Gerade jüngst hat sich gezeigt, dass man selbst für vorhandene Möglichkeiten, Neueinstellungen vorzunehmen, kein geeignetes Personal mehr findet, weil die Rahmenbedingungen im Vergleich zur Privatwirtschaft nicht mehr attraktiv genug erscheinen bzw. sind.

Hier hat die Hessische Landesregierung aber die Möglichkeit, an den richtigen Stellschrauben zu drehen. Attraktive Besoldungs- und Vergütungsbedingungen sind dabei natürlich die wichtigsten Faktoren. 

Die Gefahr, dass die Bürgerinnen und Bürger sich mehr und mehr vom Staat abwenden, muss endlich als Alarmsignal wahrgenommen werden!

 

dbb-Bürgerbefragung 2019

 

„Wir müssen die Brutalisierung der Gesellschaft stoppen!“

„83 Prozent der Menschen erleben eine zunehmende Verrohung der Gesellschaft. Über ein Viertel aller Befragten haben Übergriffe auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst beobachtet. Die Hälfte dieser Angriffe waren körperlicher Art. Jeder zweite Staatsdiener ist bereits Opfer solcher Vorfälle geworden. Das sind die besorgniserregenden Kernergebnisse einer Sonderumfrage im Rahmen der vom dbb am 20. August 2019 in Berlin vorgestellten Bürgerbefragung Öffentlicher Dienst.

 „Es ist höchste Zeit zum Handeln. Wenn wir die Brutalisierung unserer Gesellschaft stoppen und die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst schützen wollen, brauchen wir dringend ein umfassendes Investitionsprogramm Sicherheit im Dienst“, kommentierte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach die vom Meinungsforschungsinstitut forsa für den dbb ermittelten Daten.

Ein solches Investitionsprogramm müsse sowohl die bekannten personalwirtschaftlichen, baulichen, organisatorischen und Ausrüstungsaspekte einbeziehen als auch ganz neue Überlegungen. Silberbach: „Natürlich brauchen wir mehr Personal für Sicherheit und Justiz, damit Fehlverhalten zeitnah und spürbar sanktioniert werden kann. Außerdem sollten wir diskutieren, ob das Instrument der Forderungsabtretung nach Paragraph 78a des Bundesbeamtengesetzes auch auf Beleidigungstatbestände ausgeweitet und auf alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst Anwendung finden kann, danach kann ein gerichtlich zugestandener Schadensersatzanspruch vom Dienstherren übernommen, ausgezahlt und später vom Verursacher eingetrieben werden. Dann würden alle Opfer von Übergriffen echte Rückendeckung der Dienstherren und Arbeitgeber spüren.“ 

Außerdem, so der dbb Chef weiter, ist ein Kulturwandel nötig. Der dbb und seine Mitgliedsgewerkschaften veröffentlichen seit Jahren Studien und Forderungen zum Umgang mit der Gewalt gegen Lehrkräfte, Polizei, Jobcenter-Mitarbeiter, Rettungskräfte und Feuerwehrleute. Silberbach: „Beschäftigte, Politik und Bevölkerung müssen jetzt aktiv werden. Wir brauchen flächendeckend Ombudsleute, an die sich die betroffenen Kolleginnen und Kollegen wenden können, wenn Vorgesetzte Angriffe bagatellisieren oder unter den Teppich kehren wollen. Beschäftigte, die zu Opfern werden, müssen falsche Scham überwinden und jeden Vorfall transparent machen, und wir brauchen die Unterstützung der Bevölkerung. Das ist unser aller Gesellschaft, unser aller öffentlicher Dienst. Egal ob auf der Straße, in Schule, Krankenhaus oder auf dem Amt: Jeder, der Zeuge von Übergriffen wird, soll eingreifen, laut werden und Hilfe holen.“

Quelle: Pressemitteilung des dbb v. 20.08.2019

 

Anm. des dbb Hessen:

Die Ergebnisse der dbb Bürgerbefragung erschüttern uns. Sie bestätigen, dass wir es seit geraumer Zeit mit einem gesamtgesellschaftlichen Wandel zu tun haben, der auf dramatische Weise auf das Verhältnis „Bürger – Staatlicher Bediensteter“ durchschlägt.

Ganz offenkundig bedarf der Begriff „Staatsdiener“ einer Neujustierung!

Denn dieser Begriff, der in der Vergangenheit durchaus für eine bürgernahe Verwaltung stehen konnte, wird immer häufiger falsch verstanden.

Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind kein Freiwild!

……….

 

Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst für den dbb Hessen ein großes Thema

Seit einiger Zeit beschäftigen wir uns im dbb Hessen intensiv mit den stetig zunehmenden Übergriffen gegen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. 

In zahlreichen Veranstaltungen unserer Gewerkschaften erhielten wir erschütternde Berichte der Beschäftigten, in denen sie uns von ihren z. T. unfassbaren Erlebnissen und den daraus für sie entstanden Folgen, die häufig nicht nur vorübergehende körperliche, sondern auch bleibende psychische Beeinträchtigungen zur Folge hatten.

Viele Beschäftigte fühlen sich nicht genügend vorbereitet auf eine plötzlich eintretende Gefahrensituation. Und viele Beschäftigte, die Opfer geworden sind, sind verunsichert und wissen nicht konkret, wie sie sich verhalten sollen und welche Unterstützungsmöglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen.

Häufig werden selbst besonders intensive Sachverhalte nicht angezeigt.

Wir sind der Überzeugung, dass man das Phänomen „Gewalt gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes“ nur durch ein Zusammenwirken aller Beteiligten und Institutionen wirksam bekämpfen kann. 

Deshalb ist es wichtig, dass es nach einem relevanten Vorkommnis zur Erstattung einer Strafanzeige kommt.

Auch danach darf es nicht zur Unterbrechung des Kreislaufs von der Anzeigeerstattung über die Behandlung des Sachverhalts durch die Behörden (Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht) bis zum klaren Signal an die Täter und bis zur möglichst angstfreien Weiterarbeit/Wiedereingliederung des Opfers kommen.

Hierzu haben wir ein Gesamtkonzept erarbeitet, ein sog. „Lebenslagenmodell“, das wir am 21. Februar 2018 in Frankfurt a. M. in einem in der Öffentlichkeit und den Medien vielbeachteten Symposium vorgestellt haben.

Bei diesem Symposium waren zahlreiche hochrangige Vertreter von Politik, Behörden und Institutionen zu Gast und haben aktiv mitgewirkt, so z. B. die Hessische Justizministerin, der Präsident des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M. und Präsident des Hess. Staatsgerichtshofs, der Generalstaatsanwalt des Landes Hessen und der Polizeivizepräsident des Polizeipräsidiums Frankfurt a. M.

Am 21. August 2018 schlossen die Fraktionen im Hessischen Landtag im Beisein des hessischen Innenministers mit dem dbb Hessen einen Pakt zur Bekämpfung von Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst.

Einer unserer zentralen Kritikpunkte in unserem Lebenslagenmodell ist der, dass wir bislang nur über ein sehr eingeschränktes Lagebild verfügen, das nur die Fälle aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) erfasst, bei denen Vollzugsbeamte oder Rettungskräfte Opfer wurden und in denen auch tatsächlich eine Strafanzeige erstattet wurde.

Alle anderen Fälle, bei denen die Bediensteten in den anderen Verwaltungsbereichen Opfer wurden, werden bislang statistisch nicht gesondert erfasst, selbst dann nicht, wenn eine Strafanzeige erstattet wurde.

D. h., wir sprechen über ein Phänomen, dessen Größenordnung wir nicht exakt an Zahlen festmachen können. 

Auch aus vielen anderen Gründen (bspw. geringe Anzeigequote) müssen wir von einem großen Dunkelfeld ausgehen.

Es war der Wunsch des dbb Hessen, die Bekämpfung von Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst auch im Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode festzuschreiben. Diesem Wunsch haben CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dankenswerterweise entsprochen.

Eine Passage im Koalitionsvertrag befasst sich auch mit der Frage der statistischen Erfassung der Übergriffe. 

 

dbb Hessen startet eigene Umfrage 

Aufgrund des fehlenden statistischen Bildes und zur Gewinnung erheblich breiterer Erkenntnisse hat sich die Landesleitung des dbb Hessen entschlossen, eine eigene Online-Umfrage unter wissenschaftlicher Begleitung auf den Weg zu bringen.

Hierzu haben wir Frau Prof. Dr. Britta Bannenberg, Professur für Kriminologie, Justus-Liebig-Universität Gießen, Fachbereich Rechtswissenschaft, beauftragt, für uns eine anonyme Befragung unter den Mitgliedern unserer Gewerkschaften durchzuführen.

Die Teilnahme an der Befragung soll auch interessierten Nichtmitgliedern ermöglicht werden.

Die Umfrage soll im September 2019 beginnen, die Befragungszeit soll auf vier bis max. sechs Wochen beschränkt werden.

Wir würden uns sehr freuen, wenn sich möglichst viele Kolleginnen und Kollegen an der an Aktion beteiligen würden im Interesse eines zukünftig besseren Schutzes der Integrität aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst.

Die Veröffentlichung der Ergebnisse soll noch im laufenden Jahr geschehen.