19. Dezember 2023

Koalitionsvertrag in der Analyse

dbb Hessen Nachrichten Sonderausgabe 12/2023

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD für die kommende, 21. Legislaturperiode bietet ein umfangreiches und ambitioniertes Programm für Ministerpräsident Boris Rhein und seine Regierungsmannschaft, die jedoch erst im

neuen Jahr benannt werden soll. Auf mehr als 180 Seiten sind die Ziele der Regierungsarbeit formuliert. Darunter ist aus Sicht des dbb Hessen durchaus viel Gutes: Etwa die Stärkung der Wirtschaft, Ausbau der Infrastruktur, ein starker Verbraucherschutz und auch das Einsetzen für ein würdevolles Dasein für Seniorinnen und Senioren oder Menschen mit Behinderungen. Auch die Themengebiete politische Bildung und Demokratieförderung sowie die Stärkung des ländlichen Raums und des Ehrenamts sind sicherlich richtige und wichtige Ansätze.

Auch in den Politikfeldern, die den öffentlichen Dienst direkt betreffen gibt es aus Sicht des dbb Hessen durchaus viel Licht, aber auch Schatten. Im Folgenden wird der Koalitionsvertrag zu den Schwerpunkten Inneres, Gewalt, Hessen als Arbeitgeber und Alimentation hin analysiert.

Inneres

Ohne Sicherheit ist alles nichts – vor diesem Hintergrund ist diese Schwerpunktsetzung der neuen Regierung ausdrücklich zu begrüßen. Vor allem, dass sich die Regierung solidarisch hinter die Polizei stellt, ist als positives Signal zu werten. In diesen Zusammenhang passt auch die Ankündigung, jede verübte Straftat gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes (S. 32) zur Anzeige zu bringen, was durch den Dienstherrn zu unterstützen ist. Gerade für die Aufhellung des nach wie vor großen Dunkelfelds ist dieser Schritt unerlässlich. Damit greift die Landesregierung eine langjährige Forderung des dbb Hessen aus unserem Schwerpunktthema Gewaltbekämpfung auf. Gerade an der Unterstützung der Vorgesetzten haperte es häufig. Diese ist aber aus Sicht einer wirksamen Bekämpfung der Gewalt, ein zentraler Aspekt unseres Bekämpfungsmodells.

Positiv sieht der dbb Hessen auch die Ankündigung, die Justiz und den Justizvollzug stärken zu wollen. Beide Bereiche sind wesentlich für einen modernen und handlungsfähigen Staat. Zum Schutz vor Extremisten und Gefährdern unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung den Verfassungsschutz zu stärken (S. 37), ist ein weiterer richtiger Schritt. Gerade der politische Extremismus ist auf dem Vormarsch. Die AfD wird in drei Bundesländern als gesichert rechtsextrem eingestuft, in Hessen wird die Partei, die im neuen Landtag die größte Oppositionsfraktion stellt, bislang als Verdachtsfall geführt und beobachtet. Aber auch anderen Extremismus (S. 39) (Linksextremismus, Islamismus, Ausländerextremismus oder Antisemitismus) muss der Staat jederzeit wehrhaft und entschlossen entgegentreten. Hierzu zählt auch der Ausbau von politischer Bildung und Demokratieförderung.

Gewalt

Zunehmende Gewalt ist ein wesentliches Problem unserer Gesellschaft – auf ganz vielen Ebenen. Nach den bereits erwähnten angekündigten Verbesserungen im Umgang mit Gewalt gegen Beschäftige des öffentlichen Dienstes will die kommende Landesregierung das Thema häusliche Gewalt in den Fokus rücken (S. 35) – ein richtiger Schritt, denn speziell in diesem Bereich ist das Dunkelfeld nach wie vor riesig. Das Thema Gewalt gegen Frauen greift die neue Regierung sogar nochmals gesondert auf (S. 76). Dies im Zusammenspiel mit den Kommunen tun zu wollen und dabei auch die Präventionsbemühungen auszubauen, ist folgerichtig. Auch der verstärkte Fokus auf den Schutz von Kindern vor Sexualstraftätern im Internet wird ausdrücklich begrüßt.

Land als Arbeitgeber

Wer ein solch ambitioniertes Programm vorlegt wie die kommende Landesregierung der muss sich auf eine Belegschaft verlassen können, die sachlich und fachlich in die Lage versetzt wird, die anstehenden Aufgaben zu bewältigen sowie entsprechend motiviert zu Werke geht. Dazu gehört, sich als moderner und zukunftsgerichteter Arbeitgeber zu präsentieren (S. 54). Ein wesentlicher Punkt ist dabei die Gewinnung von qualifiziertem Nachwuchs in allen Sparten.

Die angeführten Vorhaben weisen durchaus in die richtige Richtung. Umso erfreulicher, dass gerade in diesem Bereich sehr viele Forderungen, die aus dem dbb Hessen und insbesondere der dbb Jugend stammen, in dem Koalitionsvertrag Anklang fanden, etwa im Bezug auf Fortbildung (S. 55) und digitale Kompetenzen (S. 57) der Beschäftigten. Auch die Aussicht auf verlässliche Übernahmeperspektiven, wie vom dbb Hessen seit langem gefordert, dürften zur Steigerung der Attraktivität beitragen. Dass der öffentliche Dienst dabei mit der Privatwirtschaft in Konkurrenz steht, macht die Aufgabe, die Tätigkeiten konkurrenzfähig attraktiv zu gestalten, nur noch dringlicher. Auch muss die Durchlässigkeit von der Privatwirtschaft in den öffentlichen Dienst erleichtert und verbessert werden.

Dazu kann auch das Ansinnen beitragen, Dienststellen hinaus aus den Ballungsräumen hinaus in den ländlichen Raum zu verlegen. Jedoch täte die Landesregierung gut daran, derlei Pläne transparent innerhalb der Belegschaft zu kommunizieren und diese so im Prozess mitzunehmen. Eine Ballungsraumzulage als Teil der Alimentation und Vergütung wäre in diesem Kontext sicherlich kontraproduktiv und wird vom dbb Hessen abgelehnt.

Insbesondere das klare Bekenntnis zum Berufsbeamtentum (S. 55) ist ein wichtiger Schritt in der Personalgewinnung und -pflege. Der Schutz der Beschäftigen trägt sicher ebenso dazu bei, wie die generell gut realisierbare zeitgemäße Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege – eine Forderung, die auch der Beamtenbund stets artikuliert hat. Mit Blick auf Fachkräftemangel und vor allem der bevorstehende Pensionierungswelle greift die Landesregierung die Forderung des dbb Hessen nach einer Demografiebrücke auf. Das bedeutet sicherzustellen, dass frühzeitig ein Wissenstransfer von ausscheidenden auf nachfolgende Beschäftigte vollzogen werden kann, um keine Lücken entstehen zu lassen. Auch die Fortführung des Hessentickets kann sicher ein Argument für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst sein.

Alimentation

Der dbb Hessen bewertet es als gut, dass das Thema Alimentation im Koalitionsvertrag Berücksichtigung findet. Der erste Eindruck, dass die getroffenen Aussagen viel zu unkonkret und schwammig gehalten sind, verfestigt sich jedoch auch bei eingehender Lektüre. Auf Seite 54 formuliert das die Regierung so:

„Wir stehen für eine leistungsgerechte, amtsangemessene und konkurrenzfähige Beamtenbesoldung und für eine gute Bezahlung im öffentlichen Dienst. Deshalb setzen wir den eingeschlagenen Weg zur Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in weiteren Schritten entschieden fort. Die Beschäftigten lassen wir mit der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse nicht allein. Gleichzeitig sind wir bestrebt, die Tarifverhandlungsergebnisse weiterhin zeitgleich und systemgerecht auf die Beamtenbesoldung und -versorgung zu übertragen. Der „Hessentarif“ ist ein Erfolgsmodell und nimmt bereits heute eine Vorbildfunktion für den übrigen öffentlichen Dienst in Deutschland ein. Er sichert schon jetzt in mehr als 160 Punkten eine bessere Regelung als der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Eine weitere Steigerung der Attraktivität im Tarifbereich ist nur durch die Beibehaltung einer eigenständigen Tarifpolitik möglich. Wir wollen daher an der bewährten Tarifhoheit des Landes festhalten. Mit den Personalvertretungen und Gewerkschaften im öffentlichen Dienst werden wir weiterhin konstruktiv und vertrauensvoll zusammenarbeiten, um den Staat als attraktiven Arbeitgeber gemeinsam mit den Beschäftigten weiterzuentwickeln. Das umfasst auch das Personalvertretungsrecht.“

In dieser Formulierung findet sich keinerlei Anhaltspunkt auf den Zeitpunkt, bis zu dem die Verfassungskonformität der Alimentation abschließend hergestellt sein soll.

Anders hatte es durchaus noch in den Antworten auf die Wahlprüfsteine des dbb Hessen geklungen. Darin hatte der dbb Hessen den Landtagsfraktionen ausführlich Gelegenheit geboten, ihre politischen Ziele für die im Januar beginnende Legislaturperiode zu beschreiben. Damals schrieb die CDU:

„Als CDU halten wir es aber für erforderlich, im Haushaltsaufstellungsverfahren für das Jahr 2025 zusätzlich zu der regulären Umsetzung und Übernahme möglicher Tarifsteigerungen für den öffentlichen Dienst weitere signifikante Verbesserungen vorzusehen. Wir halten es für realistisch und werden darauf drängen, die Besoldungsreparatur in der nächsten Legislaturperiode vollständig abzuschließen.“

Im Wahlprogramm der CDU hieß es sogar:

„Wir stehen auch für eine leistungsgerechte und verfassungskonforme Besoldung und werden den eingeschlagenen Weg für eine amtsangemessene Alimentation der Beamten zu Ende führen.“

Somit war eine deutliche Absicht formuliert, die Alimentationsreparatur nicht auf die lange Bank schieben zu wollen und diese innerhalb der 21. Legislaturperiode verfassungskonform umzusetzen. Auch wenn man sich an die Parlamentsdiskussionen zum Thema erinnert und an die Worte der damals noch Oppositionsfraktion SPD, schien dies außer Frage.

In ihrem Wahlprogramm indes war die diesbezügliche Entschlossenheit der Sozialdemokraten kaum zu erkennen. Darin hieß es:
„Wir stehen für gute Arbeitsbedingungen der Beamt*innen und eine bessere, amtsangemessene Besoldung, die verfassungsrechtliche Vorgaben erfüllt. Das Land Hessen ist im Vergleich zu Bund und Nachbarländern ein unattraktiver Arbeitgeber. Wir wollen in Hessen eine Erhöhung der Besoldung und wollen nach dem Vorbild des Bundes die Ruhestandsfähigkeit der Polizeizulage endlich wiedereinführen.“

Es ist ersichtlich, dass die Bedeutung des Themas Alimentation in der hessischen Beamtenschaft alle anderen Themen überdeutlich überstrahlt. Dieser überragenden Bedeutung wird in der Formulierung jedoch nicht ausreichend Rechnung getragen. „Es kann überhaupt kein Weg daran vorbeiführen, dass der Zustand von nunmehr über 10 Jahren verfassungswidriger Unteralimentation in dieser 21. Legislaturperiode vollumfänglich beendet werden muss,“ stellt der Landesvorsitzende des dbb Hessen, Heini Schmitt, klar. „Alles andere wäre eine klare Kampfansage von CDU und SPD an die hessischen Beamtinnen und Beamten!“ Auch müsse klar sein, dass die vielen ambitionierten Ziele der Koalition nur mit motivierten Beamten und Beschäftigten realisiert werden können.

Zur Entrüstung führt auch, dass im Koalitionsvertrag mit keiner Silbe das Thema rückwirkende Entschädigung für verfassungswidrige Unteralimentation in der Vergangenheit erwähnt wird.
Auch die Formulierung, man sei „bestrebt, die Tarifergebnisse auf Beamtinnen und Beamte zu übertragen“, lässt Entschlossenheit und Eindeutigkeit vermissen. Gerade erst vor wenigen Tagen haben es die anderen Bundesländer Hessen vorgemacht und die Übernahme des TdL- Ergebnisses angekündigt. Wenn der TV-H weitergeführt und -entwickelt werden soll, muss sich der TV-H in Zukunft aber vor allem auch in den Tabellenwerten deutlicher vom TV-L abheben. Die Absicht, in diesen Punkten konstruktiv mit Gewerkschaften zusammenarbeiten zu wollen, nimmt der dbb Hessen gerne an.

Der vollständige Koalitionsvertrag kann u.a. auf der Homepage der SPD heruntergeladen werden: https://www.spd-hessen.de/eine-fuer-alle-koalitionsvertrag-zwischen-der-hessischen-spd-und-cdu/

dbb Nachrichten Sonderausgabe 12/2023

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