28. März 2022
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Frankfurter Rundschau berichtet:

Gigantische Forderung ans Land Hessen

Hessen muss seinen Beamtinnen und Beamten eine höhere Besoldung zahlen. Der Beamtenbund erwartet drei Milliarden Euro mehr.

Frankfurter Rundschau: "Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat im Dezember geurteilt, dass hessische Beamtinnen und Beamte Anspruch auf eine höhere Besoldung haben. Sie haben geäußert, dass sich die Nachzahlungen auf drei Milliarden Euro summieren werden. Wie setzt sich diese Summe zusammen?"

Heini Schmitt: "Wir haben uns in unseren Berechnungen an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) orientiert.
Wir sind also von dem Wert ausgegangen, den der VGH für das Jahr 2020 als Mindestnettoalimentation eines hessischen Beamten in der untersten Besoldungsgruppe und niedrigsten Erfahrungsstufe haben muss. Davon ausgehend haben wir die erforderliche Bruttobesoldung errechnet.
Und dann haben wir die erforderlichen Erhöhungsbeträge unter Wahrung der bisherigen Abstände zwischen den einzelnen Besoldungsgruppen auf die gesamte Besoldungsstruktur übertragen.
Bei der Berechnung der Gesamtsumme haben wir natürlich die Anzahl der Beamten in den einzelnen Besoldungsgruppen und die Anzahl der Versorgungsempfänger entsprechend berücksichtigt.
Bei dieser 100-Prozent-Auslegung der Rechtsprechung des BVerfG und des VGH kommt man für Hessen für das Jahr 2020 auf einen zusätzlichen Finanzbedarf von über drei Mrd. Euro.
Zwar hat das BVerfG darauf hingewiesen, dass die eingangs erwähnte Mindestnettoalimentation nicht zwangsläufig auch den Beamten zusteht, die geringere Wohnkosten haben als solche im Ballungsraum.
Jedoch ist eine Abstufung von regionalen Besoldungsbestandteilen eine sehr komplexe Angelegenheit, die in sich wieder die Gefahr mit sich bringt, vom Gericht kassiert zu werden. Die Frage der rückwirkenden Entschädigung ist dabei noch nicht berücksichtigt."

Frankfurter Rundschau: "Der Minister hat einen Betrag bis zu einer Milliarde Euro in Aussicht gestellt. Wäre auch das für den dbb akzeptabel?"

Heini Schmitt: "Das wäre mit Sicherheit ein guter Anfang und auch ein Zeichen guten Willens seitens der Politik. Uns ist klar, dass die Vorgaben der Gerichte eine Zeitenwende eingeläutet haben, die eine enorme finanzielle Kraftanstrengung bedeuten und deshalb in Stufen eine drastische Veränderung herbeiführen müssen. Deshalb wird es mit Blick auf die kommenden Jahre bei dieser Summe nicht bleiben können.

Ich sage auch in aller Deutlichkeit: Das BVerfG und der VGH haben mit ihren Entscheidungen den Sparorgien der Regierungen auf dem Rücken der Beamten ein für alle Mal ein Ende gesetzt.
Die Regierungen sollten sich immer vor Augen führen, dass sie über Jahre grob verfassungswidrig gehandelt haben und jetzt endlich gezwungen sind, die Verfassung zu respektieren.
Hätte die Landesregierung den Beamten in Hessen 2015 keine Nullrunde, keine Beihilfekürzung und 2016 nicht lediglich eine Anpassung von 1 Prozent zugemutet, sondern nur die Tarifergebnisse auf die Besoldung übertragen, dann hätten dem Finanzminister von 2015 bis Ende 2021 über 2 Milliarden Euro weniger zur Verfügung gestanden.
Die Beamten in Hessen haben schon allein dadurch höchst unfreiwillig den Haushalt des Landes geschont. Natürlich ist das Geld für andere Dinge ausgegeben worden, die nicht zwingend verfassungsrechtlichen Vorgaben unterworfen waren.

Man kann das gar nicht anders sagen: Die Regierungen in Bund und Ländern haben die Beamten über Jahre hinweg immer wieder zu Einsparungen gezwungen, die durch nichts gerechtfertigt waren."

Frankfurter Rundschau: "Welche Besoldungsgruppen müssen besonders stark erhöht werden?"

Heini Schmitt: "Natürlich in erster Linie die unteren. Der VGH hat errechnet, dass bis zur Besoldungsgruppe A10, Erfahrungsstufe 1, der verfassungsrechtlich gebotene Mindestabstand zur Grundsicherung nicht eingehalten wird. Das heißt, dass immerhin die Beamten in sechs Besoldungsgruppen davon betroffen sind.

In der Besoldungsgruppe A 5 liegt die Nettoalimentation sogar um 9 Prozent unter dem Niveau der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Und das, obwohl der Beamte 41 Stunden in der Woche Dienst verrichtet und dem Staat zu besonderer Treue verpflichtet ist.
Neben dem Mindestabstand zur Grundsicherung gibt es aber auch das generelle Abstandsgebot als verfassungsrechtliche Vorgabe. Daraus folgt, dass eben auch die Besoldungsgruppen oberhalb von A 10 angehoben werden müssen. Die Abstände zwischen den einzelnen Besoldungsgruppen dürfen nicht immer weiter eingeebnet werden. Auch das würde von den Gerichten wieder kassiert werden.
Besonders deutlich wurde das beim Urteil des BVerfG vom 4. Mai 2020, bei dem es um Richter in Berlin ging oder bei der Entscheidung des VGH v. 30.11.2021, bei der es um einen W-2-Professor ging."

Frankfurter Rundschau: "Sie haben geäußert, dass das „nicht in einem Aufwasch gehen kann“. Über welchen Zeitraum kann die Nachzahlung verteilt werden?"

Heini Schmitt: "Angesichts der Größenordnung könnten wir uns eine „Reparatur“ des Besoldungsgefüges in mehreren Stufen über einen Zeitraum von drei oder gar vier Jahren durchaus vorstellen, wobei eine erste wesentliche Stufe im laufenden Jahr 2022 auf den Weg gebracht werden muss.
Es ist schließlich die Politik von Schwarz-Grün, die uns diese verfassungswidrigen Zustände gebracht hat. Und da muss erwartet werden, dass Schwarz-Grün den Löwenanteil der „Reparatur“ in der laufenden Legislaturperiode auf den Weg bringt.

Es war auch keineswegs eine Überraschung, dass das BVerfG 2020 noch einmal konkretere Vorgaben gemacht hat und dass der VGH unsere langjährige Rechtsauffassung bestätigt hat. Man hätte sich im Finanzministerium und in Regierungskreisen darauf einstellen können und müssen."

Frankfurter Rundschau: "Mehrere Elemente sind im Gespräch, neben der Änderung der Besoldung der Tarifgruppen auch der Kinderzuschlag sowie die Jahressonderzahlung. Welche Elemente wären aus Ihrer Sicht sinnvoll?"

Heini Schmitt: "Die eindeutig sicherste Methode zur Herstellung einer verfassungstreuen Alimentation ist die Anhebung der Bruttogrundgehälter, bis der Mindestabstand und das generelle Abstandsgebot eingehalten werden.
Schließlich wurde mit der Klage, die das BVerfG am 4. Mai 2020 für Berlin entschieden hat, die Feststellung begehrt, dass das Grundgehalt zu niedrig sei.

Das BVerfG hat sinngemäß auch entschieden, dass die Herstellung einer verfassungstreuen Alimentation neben der Anhebung des Grundgehalts durch regionale oder familienbezogene Zuschläge bzw. durch beihilfe- oder steuerrechtliche Aspekte geschehen kann.

Wir stellen uns daher die Anhebung der Grundgehälter vor, die ggf. geringfügig abgestuft vom mittleren über den gehobenen und höheren Dienst erfolgen kann, ohne dabei das Abstandsgebot zu verletzen.
Eine Reparatur, die maßgeblich über familien- bzw. kinderbezogene Besoldungsbestandteile erfolgen würde, birgt wiederum die Gefahr der Verfassungswidrigkeit in sich, weil der Grundsatz der Besoldung anhand von Qualifikation und Leistung und der Grundsatz einer abgestuften Besoldung verletzt sein könnten.

Der Familienstand ist eindeutig ein außerdienstliches Kriterium, der nicht dazu führen darf, dass Beamte mit zwei Kindern im Vergleich zu Beamten ohne Kinder sich um den Gegenwert von vier oder fünf Besoldungsgruppen besser stellen.
Stark abgestufte regionale Zuschläge können zu Abgrenzungsproblemen führen, die bei Gericht wieder kassiert werden könnten.
Außerdem sind sie ungerecht, denn ein Beamter, der zwar günstigere Wohnkosten als im Ballungsraum hat, muss zusätzliche Zeit und Kosten fürs tägliche Pendeln zum Dienstort in Kauf nehmen.
Verbesserungen bei der Beihilfe können ergänzen, wenn sie sich jedoch stark auf die Kinder auswirken, gilt das zuvor Gesagte ebenso.
Die Anhebung der Jahressonderzahlung hätte einen ähnlichen Effekt wie die Anhebung der Grundbesoldung, allerdings den Makel, dass ihre Dauerhaftigkeit nicht sichergestellt ist und Versorgungsempfänger benachteiligt werden.

Bei allen Reparaturformen außer der Anhebung des Grundgehalts und des regionalen Zuschlags besteht zusätzlich die Gefahr, dass die Bezüge der Versorgungsempfänger künftig stärker in die Verfassungswidrigkeit abdriften, weil sich bspw. kinderbezogene Zuschläge nicht auf die Höhe der Versorgungsbezüge auswirken. Das würde gemessen an der derzeitigen Relation zwischen Besoldung und Versorgung eine Absenkung des Versorgungsniveaus bedeuten.

Es bleibt also dabei:
Die Reparatur muss maßgeblich über die Anhebung der Grundbesoldung geschehen.
Das ist nicht nur die verfassungsfesteste Vorgehensweise, sondern auch die, die am ehesten geeignet ist, eine dauerhafte Befriedung in der gesamten Beamtenschaft herbeizuführen."

 

 

https://www.fr.de/rhein-main/landespolitik/gigantische-forderung-ans-land-hessen-91438978.html?s=09