28. Oktober 2022
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7. Seniorenpolitische Fachtagung Pflege zukunftssicher machen – und zwar jetzt

dbb und dbb senioren fordern Pflegeangebote, die für alle Bedürftigen erschwinglich und leicht zugänglich sind.

Bei der 7. Seniorenpolitischen Fachtagung war der dbb Hessen gut vertreten.

„Wir brauchen hochwertige, bezahlbare und leicht zugängliche Pflege- und Betreuungsdienste, solche die die Situation der Pflegebedürftigen als auch die Situation derjenigen, die sich professionell oder informell um sie kümmern, verbessern. Die nationalen Akteure müssen jetzt dementsprechend handeln,“ sagte Horst Günther Klitzing, Vorsitzender der dbb Senioren, anlässlich der 7. Seniorenpolitischen Fachtagung des dbb am 18. Oktober 2022 in Berlin.

Insbesondere müsse der flächendeckende Ausbau der Kurzzeit- und Verhinderungspflege beschleunigt werden. „Aber ohne nachhaltiges Gesamtkonzept für die Finanzierung kommen wir hier keinen Schritt voran. Wir können nicht erkennen, dass die bisherigen Vorschläge einen merklichen Impuls in der Politik gesetzt haben“, so Klitzing.

Silberbach: Technik kann Pflegekräfte nicht ersetzen

Neben der Frage der Finanzierung von Pflegeleistungen sieht der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach vor allem auch beim Thema Pflegekräftemangel Handlungsbedarf: „Wir müssen konkrete Antworten auf die Frage finden, wie etwa die Digitalisierung die pflegerische Versorgung voranbringen und erleichtern kann. Technik soll Pflegekräfte unterstützen, kann sie aber ganz gewiss nicht ersetzen.“

Darüber hinaus warnte Silberbach vor den Auswirkungen der aktuellen Inflationslage auf die Pflegekosten für Betroffene. „Der dbb hat sich seinerzeit dafür eingesetzt, dass die ursprünglich vorgesehene Deckelung der Eigenanteile möglichst zielgenau ausgestaltet wird. Diese Vorschläge finden sich lediglich in Teilen im Gesetz wieder. Auch wurden die Zuschüsse derart zusammengeschmolzen, dass von einer echten Entlastung kaum mehr gesprochen werden kann“, kritisierte Silberbach und forderte deutliche Nachbesserungen.

Staatssekretärin Dittmar: Nachhaltige Finanzierung angestrebt

Sabine Dittmar, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit (BMG), skizzierte, wie Pflege angesichts von Alterung der Gesellschaft und Fachkräftemangel in Zukunft bezahlbar bleiben kann. Der Koalitionsvertag enthalte wichtige Impulse dazu, Pflegebedürftige und pflegende Angehörige zu entlasten und Eigenanteile zu begrenzen. Dazu soll zum Beispiel die Ausbildungsumlage aus den Eigenanteilen herausgenommen und künftig aus Mitteln der sozialen Pflegeversicherung finanziert werden. Darüber hinaus stünden die Wirkungen der zum Jahresbeginn eingeführten prozentualen Zuschläge in der stationären Pflege auf dem Prüfstand. Zur Stärkung der häuslichen Pflege soll einerseits das Pflegegeld erhöht werden und regelgebunden dynamisiert werden. Andererseits sollen die Leistungen für die Kurzzeit- und Verhinderungspflege „in ein unbürokratisches transparentes und flexibles Entlastungsbudget zusammengefasst werden“.

Finanziell stehe die Pflegeversicherung „unter erheblichem finanziellem Druck. Deshalb ist es wichtig, die Pflegeversicherung künftig nachhaltig zu finanzieren.“ Dazu gehöre, sie möglichst von versicherungsfremden Leistungen wie Rentenbeiträgen für pflegende Angehörige zu entlasten, indem diese künftig aus Steuermitteln finanziert werden, betonte Dittmar. Ein weiterer wichtiger Baustein für die Zukunftsfestigkeit der Pflege sei die Weiterentwicklung möglicher Pflegesettings. Hier sehe der Koalitionsvertag zum Beispiel vor, das Sozialgesetzbuch (SGB) XI um innovative quartiersnahe Wohnformen zu erweitern und den Kommunen mehr Gestaltungsspielraum zu gewähren. Auch in der Digitalisierung in der Pflege sieht die Staatssekretärin „enormes Potential für die Zukunft der Pflege - von den Maßnahmen zur Anbindung der Pflegeeinrichtungen an das sichere Netz des Gesundheitswesens über die vollelektronische Abrechnung in ambulanten Bereich, finanzielle Unterstützungsmaßnahmen für Anschaffungen technischer Ausrüstung bis hin zu den Ansprüchen der Pflegebedürftigen auf Versorgung mit digitalen Pflegeanwendungen“. Darüber müsse die Gehaltslücke zwischen Kranken- und Altenpflege geschlossen werden: „Nur, wer sie gut bezahlt, wird Pflegekräfte halten und neue gewinnen können“, unterstrich Dittmar.

Pflegemodell der Zukunft: „Stambulant“

Kaspar Pfister, Gründer und Geschäftsführer der BeneVit Gruppe, stellte mit seinem Wohngruppenkonzept ein Modell für die Zukunft der Pflege vor. Schon heute seien Pflegebedürftige, Angehörige und Fachkräfte mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, die sich durch den demografischen Wandel noch verstärken würden, betonte er. „Es braucht jetzt eine grundlegende Reform, um die Altenpflege zukunftssicher zu machen“, forderte Pfister. In seiner Wohngruppe leben bis zu 14 Pflegebedürftige in einer Wohngemeinschaft zusammen. Anders als in der üblichen stationären Pflege werden die Bewohnerinnen und Bewohner dazu ermutigt, aktiv und selbstbestimmt den Alltag mitzugestalten. Die Normalität des Alltags und das Führen des Haushalts sollen als therapeutische Maßnahmen dabei helfen, die Lebens- sowie Ergebnisqualität und somit den Zustand der Pflegebedürftigen zu verbessern. Pfister bezeichnet sein Modell als „stambulant“ - eine Fusion aus stationärer und ambulanter Pflege. So gelte beispielsweise auf der einen Seite das ambulante Leistungsrecht, auf der anderen Seite erfolge die Qualitätssicherung mit einer 24-Stunden-Fachkraft und der baulichen Infrastruktur stationär.

Pflegeausbildung: Neues Berufsverständnis und mehr Verantwortung

Einen Einblick in die generalistische Pflegeausbildung gab die Vizepräsidentin des Deutscher Pflegerats, Annemarie Fajardo. Seit 1. Januar 2020 gilt das entsprechende Gesetz, das die vorherige Dreiteilung in Alten-, Kinder und Allgemeine Kranken-Pflege aufhebt. Seither gibt es eine gemeinsame mindestens zweijährige Grundausbildung, der eine Spezialisierung auf die genannten Bereiche folgen kann, aber nicht muss. Damit einher gingen ein Paradigmenwechsel und ein neues Berufsverständnis, da die pflegerische Tätigkeit nunmehr unabhängig(er) von bestimmten Szenarien („Settings“) wie beispielsweise Heim, Krankenhaus, Kurzzeitpflege, Tagespflege etc. ist. Die zu pflegende Person mit ihren Bedürfnissen rückte unabhängig davon in den Fokus. Für die Pflegekräfte, führte Fajardo aus, bedeute das neben erweiterten Kompetenzen auch deutlich mehr Verantwortung.

Zu den positiven Aspekten dieser Ausbildungsreform zählte die Vizepräsidentin des Deutscher Pflegerates insbesondere den Wegfall des Schulgeldes sowie die Einführung einer „angemessenen Ausbildungsvergütung“. Zudem werde die generalistische Ausbildung in der gesamten Europäischen Union anerkannt und bedeute insgesamt eine Annäherung an international Pflegeberuf-Standards. Gerade in der Abgrenzung zu ärztlichen Tätigkeiten seien Pflegeberufe international nämlich deutlich verantwortungsvoller und entsprechend angesehen. Wert legte Fajardo auf die Feststellung, dass die weitere Akademisierung von Pflegeberufen, etwa durch das mögliche Pflegestudium mit Bachelor-Abschluss, nicht zu einer „Wegqualifizierung“ aus der Praxis führe. Insgesamt hätten die Ausbildungsreform und auch der Einstieg in die Akademisierung in erster Linie zu einer sinkenden Mortalität, einer gesteigerten Qualität und einer verbesserten Versorgung geführt.

Sorge bereitet Fajardo die weitere Entwicklung des Berufsfeldes, weil es immer noch keine Selbstverwaltung der Pflegekräfte gebe. Auch der Deutscher Pflegerat vertrete weiterhin nur etwa 5 Prozent der Beschäftigten. Hier sei der Gesetzgeber gefordert, Möglichkeiten für eine organisierte fachliche Vertretung zu schaffen.

Pflege braucht integrativen Diskurs

Den Stand der Digitalisierung in der Pflege und deren soziokulturellen Kontext umriss Prof. Dr. phil. Manfred Hülsken-Giesler, Direktor des Instituts für Gesundheitsforschung und Bildung an der Universität Osnabrück. Dabei sei es besonders wichtig, „nicht zuerst über Digitalisierung zu reden, sondern über Pflege und die technologischen Möglichkeiten als Anlass zu betrachten, Pflege und deren Kontext gesellschaftlich ins Gespräch zu bringen“. Die konzeptionellen Probleme der aktuellen Pflegelandschaft sah der Wissenschaftler „irgendwo zwischen der Alltagshilfe und der professionellen Dienstleistung“, wobei die Diskussion stets zwischen den Lebenswelten der Menschen sowie der Organisation und der Finanzierung von Pflege mit all ihren Gesetzen und sozialen Aspekten changiere: „Die Zerrissenheit zwischen dem Auftrag zu heilen und sozialer, gesellschaftlicher Teilhabe spiegelt sich dabei in dem Versuch, eine traditionelle moralisch-ethische Verpflichtung marktgängig machen zu müssen.“

Obwohl in der Pflege „in den vergangenen 30 Jahren eine Sau nach der anderen durchs Dorf gejagt worden ist, hat es trotz der hohen Diffusität der politischen Debatte durchaus positive Entwicklungen gegeben“, stellte Hülsken-Giesler fest und machte drei aktuelle Trends in der Pflege aus: Professionalisierung und Ausdifferenzierung der Pflegeberufe, wobei es an Infrastrukturen mangele, die finanziert werden müssten. Etablierung von Sorgegemeinschaften und Hilfe-Mix-Strukturen, denen es bisher an neuen Modellen mangele. Digitalisierung der Berufs- und Alltagswelten, was nur in Kombination mit den beiden anderen Trends funktioniere. Im Ganzen betrachtet fehlten Diskurse, die in der Lage sind, diese drei Innovationen zu integrieren.

Als mögliche künftige Technologien und Infrastrukturen nannte Hülsken-Giesler Prozessautomation, Telemedizin, technische Assistenzsysteme und Apps sowie „Big-Data“ und Robotik. An all diese Technologien müssten theoretische und praktische Bewertungsmaßstäbe angelegt werden, um deren gesellschaftliche Akzeptanz ebenso zu evaluieren wie ihre Wirtschaftlichkeit. Zum Beispiel dienten derzeit mehr als 80 Prozent aller in der Pflege einsetzbaren Technologien der Steuerung und Verwaltung von Pflege. „Das ist eine deutliche Schlagseite, denn In der praktischen Pflegearbeit selbst gibt es bisher kaum Technologie.“ Gesellschaftlich müssten daher die Fragen gestellt werden, was „gutes Alter“ und „gute Pflege“ ausmache und wie Strategien zur Digitalisierung in einem Hilfe-Mix entwickelt werden könnten. Darüber hinaus müssten Verantwortlichkeiten geklärt werden und Menschen ebenso wie Institutionen digitale Souveränität entwickeln. Das beinhalte, die Technologienentwicklung im Pflegebereich demokratisch auszugestalten und Nebenfolgen offen zu reflektieren.

Was Humus für die Erde, ist Humor für die Seele!

Die Schauspielerin Maria Gundolf berichtete in ihrem Impuls von der Arbeit als Krankenhausclown: Seit 16 Jahren besucht sie im Rahmen ihrer Tätigkeit für ROTE NASEN e.V. neben schwerstkranken Kindern auch Bewohnerinnen und Bewohner von Geflüchteten- und Senioreneinrichtungen. Mit Hilfe von Slapstick, Zauberei, Musik, Tanz und Poesie stellten sie und ihre 70 Kolleginnen und Kollegen für 50.000 Menschen zwischen 0 und 100 Jahren „die Welt auf den Kopf“.

In Workshops und Humortrainings für Pflegepersonal vermittele sie nicht, wie man Witze erzähle oder schlagfertige Sprüche produziere, sondern wie man mit sich selbst achtsam umgehe und anderen mit Empathie und wertschätzendem Humor begegne. Im „Krisensetting Pflegeeinrichtung“ könne so jeder einen Perspektivwechsel vornehmen, der allen Beteiligten guttue. Das Grundprinzip von Humor sei der Perspektivwechsel: Einatmen – ausatmen – worum geht es jetzt eigentlich? Was ein solcher Perspektivwechsel sein kann, demonstriert Maria Gundolf in einer Übung gemeinsam mit den Anwesenden: Dem fremden Sitznachnachbarn in die Augen blicken, den Platz mit ihm oder ihr tauschen und dem Gegenüber mit einem Stift quer im Mund erzählen, worüber man sich gerade richtig ärgert. Der Ärger ist weg. Diese Wirkung produziere auch die durch den Stift verursachte Mimik: Selbst ein erzwungenes Lächeln setze Glückshormone frei, weiß die Schauspielerin. Die Welt ließe sich nicht so einfach ändern, aber die Haltung, die man selbst zu ihr einnähme, darin, davon ist die Künstlerin überzeugt, läge die Macht des Einzelnen.

„Entscheiden Sie sich für Humor als Haltung!… Und gehen Sie auf Distanz zu dem, was Sie ärgert“, forderte Gundolf die Tagungsteilnehmer auf. Und: „Ein Lächeln, dass von Herzen kommt, zeigt ‚Ich bin dein Freund! Alles ist ok.‘“

Pflege zukunftssicher gestalten

In einer abschließenden Gesprächsrunde tariertern dbb senioren Chef Horst Günther Klitzing, Brigitte Bührlen, Vorsitzende von "Wir! Stiftung pflegender Angehöriger", und Dr. Martin Schölkopf, Abteilungsleiter Pflegeversicherung und -stärkung im BMG, die Eckpunkte einer zukunftssicheren Pflege aus.

„Es scheint in einem Dreierbündnis leichter zu sein, Pauschalbeträge nach dem Gießkannenprinzip auszuschütten, als Betroffene gezielt zu unterstützen“, machte der Vorsitzende der dbb Bundeseniorenvertretung Horst Günther Klitzing mit Blick auf das Agieren der Bundesregierung deutlich. Dennoch sehe er Signale, dass man sich bemühe, die Pflege zukunftssicher aufzustellen, so Klitzing. „Der große Wurf ist meiner Auffassung nach aber nicht erkennbar. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, was Pflege ist, welcher Stellenwert ihr in der Gesellschaft eingeräumt wird, und was wiederum die Arbeit der Pflegende der Gesellschaft wert ist“, regte der dbb Seniorenchef an. Zu allererst sei wichtig, den Pflegeberuf attraktiver zu machen, so Klitzing. „Dazu gehören nicht nur eine bessere Bezahlung, sondern auch eine attraktivere Ausgestaltung des Arbeitsumfelds und größere Wertschätzung.“ Gleichwohl sollten aber nicht nur die Bedingungen der professionellen Pflegekräfte verbessert werden, so Klitzing weiter: „Es ist auch nötig, Instrumente zu entwickeln, die der Entlastung berufstätiger pflegender Angehöriger dienen. Diesbezüglich fordern wir und zusammen mit dem dbb seit längerem, dass Pflegezeiten wie Erziehungszeiten behandelt werden.“

Für wünschenswert hält Klitzing, „wenn die Politik entsprechende Impulse in die Gesellschaft gibt, diese Fragen zu ernsthaft zu diskutieren“. Der Chef der dbb Senioren zeigte sich aber überzeugt, dass viele Impulse für Veränderungen aus der Gesellschaft selbst herauskommen müssten: „Dazu gehört beispielsweise die Überlegung, wie es gelingen kann, die Verdrängung des Altwerdens und auch der Pflegebedürftigkeit zu überwinden. Wir können die Politik nicht für alles verantwortlich machen, was nicht läuft.“ Klitzing wünschte sich, dass alle Beteiligten im Bereich der Pflege ehrlicher miteinander umgehen. „Es gibt viel zu tun, und es gibt ganz gewiss nicht die eine Maßnahme, die dazu beiträgt, die Pflege zukunftssicher zu machen. Wir sollten die Mosaiksteine betrachten, ob die noch an der richtigen Stelle sitzen oder sogar ersetzt werden müssen. Hier möchten wir uns als gewerkschaftliche Seniorenorganisation gerne einbringen.“

Brigitte Bührlen brennt der Fachkräftemangel auf den Nägeln. In Deutschland seien aktuell rund 700.000 ausländische Betreuungskräfte im Einsatz. „Das“, so die Vorsitzende der Stiftung pflegender Angehöriger, seien aber keine Pflegekräfte im herkömmlichen Sinne. „Oft haben sie nicht die entsprechende Fachausbildung und dürften eigentlich gar nicht ‚pflegen‘. Wir wollen aber alle zuhause versorgt werden – und wenn zuhause sonst niemand ist?“ Bei im Haushalt lebenden Betreuungskräften, so Brigitte Bührlen weiter, seien zudem geregelte Arbeitszeiten schwer einzuhalten. „Es ist unglaublich schwierig, da Arbeits- und Ruhezeiten und damit indirekt auch die Bezahlung korrekt zu dokumentieren. Natürlich muss es Ruhezeiten geben, natürlich gelten die Arbeitsschutzregeln, aber in der Alltagswirklichkeit können diese Regeln oft nicht wirklich eingehalten werden. Wenn wir das täten, säßen sehr viele pflegebedürftige Menschen nämlich plötzlich ohne Betreuung da.“ Das Argument der Haushälter, dass für bestimmte Verbesserungen in der Pflege zur Zeit einfach kein Geld da sei, lässt Brigitte Bührlen nicht gelten. „Das ist eine Frage der Prioritätensetzung. Pflegebedürftig kann man in jedem Alter werden. Insofern sind wir alle, alle 80 Millionen Wählerinnen und Wähler, potenziell Betroffene. Wir sollten die Politik also unter Druck setzen, endlich zu liefern. Wir alle zahlen so viel in dieses System ein. Wo bleibt die Gegenleistung?“ Mit Blick auf die Zukunft der Pflegeversicherung wünscht sich die Stiftungsvorsitzende einen grundstürzenden Ansatz: „Das Bismark‘sche System der Absicherung muss weg. Unser Pflegeansatz passt nicht ins 21. Jahrhundert. In Bayern wird es demnächst einen großen Runden Tisch zur Pflege geben. Ich wünsche mir, dass wir dann mal alle existierenden Regelungen vom Tisch nehmen und die Pflegedebatte neu aufsetzen. Wir müssen weg vom Prinzip der Subsidiarität und Selbstausbeutung. Die Grundlage unseres Pflegesystems ist momentan die Bevölkerung selbst. Wir pflegen uns alle gegenseitig. Wir brauchen aber ein effizientes, professionelles Pflegesystem von Fachleuten“, forderte Bührlen.

Martin Schölkopf würde im Pflegefall für sich selbst eine betreute Wohngemeinschaft älterer Menschen wählen, um seine Angehörigen nicht zu belasten. Das sei eine mögliche Form der Pflege, aber parallel zu solchen Modellen würden sehr viele Ältere von ihren Angehörigen gepflegt, die einen Anspruch auf Unterstützung hätten, erläuterte der Abteilungsleiter im BMG. Diesbezüglich seien für die Zukunftssicherung der Pflege zum Beispiel Leistungen für pflegende Angehörige im Rahmen des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs ausgeweitet worden. Zudem wurden in den vergangenen Jahren ergänzende Leistungen sowie die Familienpflegzeit eingeführt. Die aktuelle Regierungskoalition möchte die Familienpflegezeit, so Schölkopf, jetzt mit einer Lohnersatzleistung unterfüttern: „Derzeit wird mit Hochdruck an Eckpunkten für diese Maßnahmen gearbeitet. Der Haken ist, dass es natürlich etwas kostet, und da ist man schnell im Milliardenbereich“. Daher sei auch zu klären, welche „Gegenleistungen“ dafür erbracht werden können, etwa, indem pflegende Angehörige wie in Österreich bei der Kommune angestellt werden, um diesen Teil der Pflegearbeit sicherzustellen. „Das alles ist eine Frage des politischen Gestaltungswillens.“ In Bezug auf ausländische Pflegekräfte sah auch Schölkopf eine Gemengelage der Betreuungsformen. Auch hier sehe der Koalitionsvertrag vor, Rechtssicherheit zu schaffen, „aber das ist leicht gesagt und sehr schwer getan. Das wird ein ganz schwieriger Prozess, und das muss man offen sagen“, machte Schölkopf insbesondere mit Blick auf die rechtssichere Bezahlung von 24-Stunden-Kräften deutlich. Fiele diese Art der Betreuung weg, stünde die Pflege vor neuen, erheblichen Problemen.

(Pressetext der der dbb Bundes Seniorenvertretung)