03. Juli 2022
Auf Facebook teilenAuf Twitter weitersagenArtikel versenden

Besoldung: der aktuelle Stand

Trotz der sehr eindeutigen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Kassel erweist sich die Reparatur der Besoldung in Hessen als ein dickes zu bohrendes Brett. Während vom ausgeschiedenen Ministerpräsidenten Volker Bouffier keinerlei Impulse mehr kamen, hat dessen Amtsnachfolger Boris Rhein in seiner Regierungserklärung recht deutlich gemacht, dass er noch in dieser Legislaturperiode das Projekt „verfassungskonforme Besoldung“ angehen wird.

Im Interview mit der FR antwortete er dieser Tage auf die Frage; Wann werden hessische Beamtinnen und Beamte wieder verfassungskonform alimentiert?
„Diese Koalition wird so schnell wie möglich, am besten in Abstimmung mit den Gewerkschaften und allen Beteiligten, ein Gesetz vorlegen, das diesen Zustand schrittweise repariert. Ich kann Ihnen kein Datum sagen, da geht Sorgfalt vor Schnelligkeit.“

In diesem Zusammenhang fand am 15. Juni auch ein Videogespräch mit BÜNDNIS 90/DIE GÜNEN statt. Auch Fraktionsvorsitzender Mathias Wagner sieht Handlungsbedarf. „Dass der Zustand jetzt keinen Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht hat, wissen wir alle“, ließ aber gleichzeitig erkennen, dass seine Fraktion noch mitten in den Beratungen stecke. Es herrsche demnach innerhalb der Fraktion Unsicherheit darüber, was genau unter dem Begriff verfassungsgemäß zu verstehen sei. Auch was den Zeitrahmen betrifft, zeigten sich Wagner und der parlamentarische Geschäftsführer Jürgen Frömmrich noch nicht konkreter. Immerhin besteht Einvernehmen über die Handlungsnotwendigkeit. dbb Hessen- Vorsitzender Heini Schmitt warnte vor deutlichen Eingriffen in die bestehende Besoldungsstruktur, wenn dadurch bspw. das Abstandsgebot verletzt werden würde. Er untermauerte noch einmal die grundsätzlichen Forderungen des dbb Hessen.

Noch einmal hier der Standpunkt des dbb Hessen:
Der dbb Hessen hat errechnet, wie man eine „100-Prozent-Lösung“ für eine Korrektur von Besoldung und Versorgung in Hessen herstellen könnte und was sie kosten würde. Würden die Mittel bereitgestellt, könnte sofort ein verfassungsfestes Gesetz verabschiedet werden, das Besoldung und Versorgung unter Wahrung des Mindestabstandsgebot, des Abstandsgebots und der qualitätssichernden Funktion der Alimentation für die nächsten Jahre regelt. Unsere Berechnungen für eine solche 100-Prozent-Lösung, die den vom Hess. Verwaltungsgerichtshof (VGH) für das Amt A 5, Stufe 1, im Jahr 2020 als Mindestnettoalimentation errechneten Wert als Ausgangspunkt nimmt und die bisher bestehenden Abstände in der Besoldungstabelle und den Besoldungsordnungen fortschreibt, ergäben einen jährlichen Mehrbedarf von rd. 3,3 Mrd. Euro.

Selbst angesichts der Tatsache, dass den Beamten als Folge von Nullrunde und Beihilfekürzung 2015 sowie der Anpassung der Besoldung 2016 um lediglich ein Prozent im Zeitraum von 2015 bis Ende 2021 mehr als zwei Mrd. Euro vorenthalten wurden, ist dies natürlich eine enorme Herausforderung.

Deshalb können wir uns eine schrittweise Korrektur über drei bis vier Jahre zur deutlichen Annäherung an die verfassungsrechtlichen Vorgaben vorstellen, die allerdings erste wesentliche Schritte in der laufenden Legislaturperiode umsetzen muss.

Wir können uns auch eine gewisse Verkürzung der Abstände in den Tabellen vorstellen, die aber das Maß von max. zehn Prozent in fünf Jahren nicht überschreitet. Wenngleich der besoldungsrechtliche Missstand am unteren Ende der Tabellen besonders groß ist (bspw. in A 5, Stufe 1 im Jahr 2020 rd. 24 Prozent unter der verfassungsrechtlich gebotenen Mindestalimentation), so genügt es ausdrücklich nicht, wenn nur dort Korrekturen erfolgen.

Übrigens dürfte sich nach Vorliegen der Zahlen für die Grundsicherung 2021 (Regelsätze, vor allem aber 95%-Perzentil für Wohnen und Heizen) dieser Missstand vergrößert haben und allein durch die bereits geregelte Anpassung um 1,4 Prozent zum 1. Januar 2021 nicht ausgeglichen werden können.

Der VGH hat errechnet, dass bis zurück in das Jahr 2013 die Alimentation in Hessen verfassungswidrig zu niedrig war, je nach Jahr sogar bis zur Besoldungsgruppe A 10, Stufe 1. Schon daraus, aber auch aus der weiteren Entscheidung des VGH vom 30.11.2021, wonach auch die Alimentation eines W-2-Professors in Hessen verfassungswidrig zu niedrig ist, folgt eindeutig, dass die gesamten Tabellen korrigiert werden müssen.

Der VGH sieht dringenden Anpassungsbedarf mindestens bis zur Besoldungsgruppe A 15.

Insbesondere bei den Entscheidungsgründen zum W-2-Verfahren hat sich der VGH sehr umfangreich mit dem Abstandsgebot befasst, so wie es das BVerfG zuvor bereits getan hatte.

Das BVerfG hat im Mai 2020 zur Alimentation in Berlin entschieden, dass erforderliche Korrekturen neben der Anhebung des Grundgehalts auch über regionale, familienstandbezogene, beihilfe- oder steuerrechtliche Regelungen erfolgen können.

Einzelne Gesetzgeber in Deutschland haben nach der Entscheidung des BVerfG vom Mai 2020 Gesetzentwürfe zur Alimentation der Beamten und Versorgungsempfänger vorgelegt bzw. Gesetze dazu verabschiedet. Dabei haben sie überwiegend Korrekturvarianten gewählt, die sehr einseitig bspw. den Familienstand oder die Beihilfe in den Vordergrund stellen oder letztlich nur am unteren Ende
der Tabellen ansetzen.

Natürlich kosten solche Varianten weniger Geld, aber sie sind nach unserer Überzeugung erneut verfassungswidrig und spalten die Beamtenschaft in Gewinner und Verlierer. Entsprechende erneute Klagen in den betroffenen Ländern sind bereits eingereicht bzw. in Vorbereitung.

Deshalb muss die Korrektur in Hessen von Anfang an verfassungskonform gestaltet werden.
Dabei kann ein außerordentlich wichtiger Nebeneffekt erzielt werden, nämlich die hinreichende Befriedung innerhalb der Beamtenschaft und zwischen der Beamtenschaft und der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen.

Wir stehen tatsächlich an einer entscheidenden Weggabelung. Während es uns und unseren Fachgewerkschaften über eine lange Zeit gelungen ist, die Kolleginnen und Kollegen mit Blick auf das anstehende Verfahren beim VGH zum Abwarten anzuhalten, herrschen spätestens seit dem 30. November 2021 eine enorm gestiegene Erwartungshaltung und große Unruhe. Deshalb ist es dringend erforderlich, ein Gesetz, das die ersten entscheidenden Umsetzungsschritte noch in der laufenden Legislaturperiode zum Inhalt halt, noch vor der Sommerpause einzubringen.

Die Korrekturmöglichkeiten und -vorschläge im Einzelnen:

• Anhebung des Grundgehalts;

Die verfassungsfesteste Variante, vom BVerfG hervorgehoben, wahrt den Grundsatz der Besoldung anhand Qualifikation, Leistung und Bedeutung des Amtes sowie der qualitätssichernden Funktion der Besoldung, berücksichtigt Versorgungsempfänger; auch vom dbb Bund als maßgebliche Variante beschlossen.

• Einführung möglichst flach abgestufter, regionaler Besoldungsbestandteile; Abgrenzungsprobleme, in Hessen große Regionen mit hohen Mieten, Wohnortprinzip, zusätzliche zeitliche und finanzielle Aufwände von entlegen und günstiger wohnenden Kollegen fürs tägliche Pendeln werden nicht berücksichtigt, hoher gesetzgeberischer Aufwand, fortlaufender Anpassungsbedarf.

• Verstärkung familienstandbezogener (Kinder-) Besoldungsbestandteile;

Schon jetzt Berücksichtigung im Besoldungsrecht, im Beihilferecht, Steuerrecht; BVerfG hat Alimentation bis zum zweiten Kind nicht beanstandet, erst ab dem dritten Kind (Urteil v. Mai 2020 für NRW), Kinderalimentation über die Vorgaben des BVerfG hinaus verstößt gg. den Grundsatz der Besoldung anhand Qualifikation, Leistung und Bedeutung des Amtes, benachteiligt Versorgungsempfänger, senkt mittelbar das Versorgungsniveau ab, Familienstand ist ein außerdienstlicher Faktor, (s. Aufsätze Prof. Dr. Färber, Schwan), erschwert Nachwuchsgewinnung, demotiviert junge, kinderlose Beamte, stört Betriebsfrieden erheblich.

• Verbesserung der Beihilfeleistungen;

Beihilfe gehört nicht zum Kern der Alimentation, bevorzugt Familien, vor allem mit Kindern, es gilt das vorstehend Ausgeführte.

• Verbesserung von steuerrechtlichen Regelungen;

Seitens des dbb Hessen keine Vorstellungen, wie das aussehen könnte, vermutlich sehr komplex, Gestaltungsspielraum vermutlich zu gering, schwierige Nachvollziehbarkeit in der Beamtenschaft, Neiddebatte in der Öffentlichkeit.

• Streichung von unteren Besoldungsgruppen oder Erfahrungsstufen; Abstandsgebot, darüber liegende Besoldungsgruppen werden „entwertet“ (s. auch Gutachten Prof. Dr. Dr. Battis zur Einführung der zweigeteilten Laufbahn in der hessischen Polizei), nach Abschaffung des einfachen Dienstes z. 1.3.2014

(2. DRModG) und Besoldungsanpassung um Mindestbeträge 2016 (35 Euro) und 2017 (75 Euro) mit hoher Wahrscheinlichkeit zu große Abstandsverkürzung, zumindest nicht unproblematisch.

• Anhebung der Jahressonderzahlung;

Würde die Abstände zwar halten, fließt aber nicht in Tabellenwerte beim Grundgehalt ein, Dauerhaftigkeit steht in Frage, Gestaltungsspielraum vermutlich zu gering, Versorgungsempfänger würden abgehängt, mittelbare Absenkung des Versorgungsniveaus.

• Anhebung des Grundgehalts durch einen Festbetrag durch die gesamten Tabellen;
Mit hoher Wahrscheinlichkeit unzulässige Abstandsverkürzung.

Als Ergänzung zu unseren Einschätzungen verweisen wird auf die immer wieder in diesem Zusammenhang zitierten Aufsätze von Dr. Stuttmann, Prof. Dr. Färber sowie Prof. Schwan wie auch das Gutachten von Prof. Dr. Dr. Battis.

In unserer jüngsten Sitzung des Landeshauptvorstands des dbb Hessen am 28. April 2022 haben wir unsere Forderung zur Art und Weise der Umsetzung der Korrektur der Alimentation in Hessen durch einen einstimmigen Beschluss untermauert. Danach halten wir folgende Vorgehensweise für erforderlich:

Die Korrektur der Besoldungstabellen ganz maßgeblich über die Anhebung des Grundgehalts, ggf. ergänzt durch möglichst flach verlaufende regionale Zuschläge, zusätzlich die Anhebung des Familienzuschlags ab dem dritten Kind gemäß den Vorgaben des BVerfG vom Mai 2020 für NRW.

Dies ist nach unserer Überzeugung die verfassungsfesteste Vorgehensweise, die -angesichts der Größenordnung- in mehreren Schritten erfolgen kann, wobei die ersten maßgeblichen Schritte noch in der laufenden Legislaturperiode umgesetzt werden müssen. Ebenso muss -davon unabhängig- beginnend ab dem Jahr 2021, jährlich die Entwicklung der Grundsicherung erhoben werden, um daran orientiert regelmäßige Besoldungsanpassungen vorzunehmen. Dabei wird zu überprüfen sein, ob die bereits per Besoldungsgesetz geregelten Anpassungen von 2,2 Prozent zum 1. August 2022 sowie von 1,8 Prozent zum 1. August 2023 diesen Maßstäben entsprechen.

Auf diese Weise würde man den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen und eine deutliche Befriedung in der hessischen Beamtenschaft erreichen, so dass sich das Land Hessen nicht nur hinsichtlich der Rahmenbedingungen bei den Tarifbeschäftigten, sondern auch hinsichtlich der Alimentation der Beamten beispielgebend zeigen kann.